Samstag, 27. Februar 2010

"We will cross the bridge when we come to it!"

Unser Blogtitel ist eine englische Redewendung, die ziemlich deutlich die kenianische (oder auch afrikanische) Lebenseinstellung ausdrückt: "Mach die heute keine Sorgen über Probleme, die erst morgen anstehen. Wir werden sie dann lösen!" Auf Kiswahili kann man sehr häufig die gleiche Einstellung durch den kurzen Spruch "Pole, pole!" (etwa: Gemach, Gemach!) ausgedrückt hören. Grundlage dieses Lebensgefühls ist das afrikanische Zeitverständnis, das im Gegensatz zu unserem dreidimensionalen Konzept nur Gegenwart und Vergangenheit kennt. Die nur sehr kurz gedacht Zukunft (also etwa bis zur nächsten Ernte) geht langfristig einfach in die Vergangenheit - also die Welt der Ahnen - über. Damit leben die Kenianer stark im "Hier-und-Jetzt", d.h. der Augenblick zählt. Damit sind dann auch die vielen Verspätungen oder das Liegenlassen von Aufgaben zu erklären. Und da wir Deutsche nun gerade sehr stark in die Zukunft denken, kann uns diese Art die Welt zu sehen, irritieren oder auch nerven. Wenn es gelingt sich darauf ein Stück weit einzulassen, dann kann das durchaus als sehr entspannend erlebt werden. Das gleiche Grundgefühl haben die Schwarzen z.B. auch in die Karibik getragen "Don't worry, be happy!" singt Bobby McFerrin deswegen.
Zu diesem afrikanischen Zeitgefühl, das der anglikanische Priester John Mbiti, ein Kamba (Ethnie am Mount Kenya), der heute als Pfarrer in Burgdorf in der Schweiz lebt, sehr schön in "African religion and philosophy" beschrieben hat, tritt nun ein wichtiges zweites Konzept: die geduldige Höflichkeit. Am besten lässt es sich mit dem uns meist bekannten chinesischen Ausdruck "das Gesicht verlieren" beschreiben. Kenianer konfrontieren sich selten mit der schonungslosen "Wahrheit" und reißen einander ungern "die Maske vom Gesicht". Entschuldigungen und Fehler werden geduldet, selbst offensichtliche Lügen. Wer zu spät kommt (und das kommt häufig vor), sagt vielleicht: "Ich hatte einen Platten!" Er wird das allgegenwärtige freundliche und offene Lachen der Afrikaner ernten - der dritte wichtige Faktor in der afrikanischen Kommunikation. Als vierter und letzer Faktor kommt eine gewisse Vagheit oder auch Ungenauigkeit in der Kommunikation hinzu. Man legt sich häufig nicht so genau fest, lässt Dinge im Vagen. Als Gesprächspartner ahnen wir vielleicht, dass da noch etwas ist, z.B. ein wirklicher Grund für ein bestimmtes Verhalten. Aber es wird nicht kommuniziert und wir können auch nicht direkt fragen - aus Höflichkeit.
Beispiel: Ein weißer Deutscher, der länger in Kenia lebt, fährt mit seiner Haushälterin durch einen der vielen Kreisel. Er hat sie zuvor gebeten, ihm zu sagen, wo er den Kreisel verlassen muss, um zu einem bestimmten Punkt zu gelangen. Sie vergisst den Hinweis, der Wagen fährt falsch und sie ruft charmant lachend aus: "Oops! The car went wrong!"
Die vier Faktoren, also der Gegenwartsbezug, die Höflichkeit (ohne Fehlerorientierung), die Fröhlichkeit und die Vagheit machten das aus, was wir überwiegend als "cool" empfanden.
Diese entspannte, zufriedene, trotz widrigster Umstände vielleicht sogar glückliche Grundstimmung haben wir überall erlebt. Ob bei unserem Fahrer Charles, bei den Kindern im Slum, bei Sarah Obama oder bei unserer Pressekonferenz. Offensichtlich hat diese Art zu Fühlen und zu Kommunizieren immer noch Bestand, obwohl das gesamte ökonomische Umfeld ja von der abendländischen Tradition des Denkens and Handelns bestimmt wird. Das führt natürlich zu ständigen Fehlern und Reibereien, wenn der Westen und Afrika aufeinander treffen. Und ganz verwirrend wird es, wenn wir uns als Weiße auf die afrikanische Zeit einstellen (also z.B. zu spät kommen), die andere Seite aber- unser Zeitverständnis antizipierend - pünktlich auf uns wartet. Der Rektor der Universität Kakamega hat uns deswegen - ganz westlich - einfach sitzen gelassen, als wir zu spät kamen, aber 600 Schülerinnen und die LehrerInnen der "Bishop-Sulumeti-Girls-High-School" (unserer neuen Partnerschule in Kakamega, Westprovinz) haben geduldig 2 Stunden auf die unpünktlichen Deutschen gewartet. Und dann trotzdem - ohne Fehlervorwurf - explosionsartig mit uns gefeiert.
Allerdings haben wir auch die dunkle Rückseite Afrikas mitbekommen: so wie das große Volk der "Dichter und Denker" zum Schlächter in KZ und auf den Schlachtfeldern wurde, barst das freundliche Gesicht Kenias und zeigte in den "post election violence" (Aufruhr nach der Wahl/2008) nackte Gewalt. Wir haben die zerstörten Häuser und immer noch existierenden Flüchtlingslage mit Schaudern gesehen. Ein Jahr zuvor wäre unsere Reise ins Wasser gefallen. Zwei Faktoren der Kommunikation waren blutig mit 1300 Toten ins Gegenteil gekippt. Deswegen haben wir die Sarah-Obama-Friedenstaube nach Kenia mitgebracht (und dort gelassen), um unserem Wunsch ein Zeichen zu setzen, dass die afrikanische Höflichkeit und Fröhlichkeit wieder gegen Gier und Hass die Oberhand gewinnen mögen.

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